Sterne in Asche

Die Galaxis in Anarchie: Sterne schrumpfen zu Ascheklumpen, andere vergehen vorzeitig in Supernovae, Planeten werden unbewohnbar. Und keiner kennt den Grund.

Nominiert für den Kurd-Laßwitz-Preis.

Das drastische Weltraum-Epos, voller Abgründe, Vernichtung – aber Helden Fehlanzeige. Menschen, fremdartige Aliens und die Mischung aus beidem sind auf der Suche nach Antworten. Was sie finden, übersteigt jegliche Vorstellungskraft.

 

PROLOG

Die Sonne von Raptuul verblasste.

Ein einsamer Papierfisch verendete in einem Tümpel, der schon lange vergeblich auf frisches Wasser aus den Weißen Bergen wartete. Niemand scherte sich um die letzten Zuckungen des eigentümlichen Tieres. Seine gefürchtetsten Fressfeinde, die himmelblauen Pelzreiher, waren längst weitergezogen, um ihren Hunger anderswo zu stillen.

Das Klima von Raptuul veränderte sich. Tiere und Pflanzen starben aus, andere nutzten die entstehenden Lücken im ökologischen Miteinander, zum Beispiel die Grünegel und die winzigen Nagefrösche. Aber auch ihr Eroberungszug würde eine Episode bleiben.

Das kosmische Urteil über den Planeten war gesprochen: Im Stich gelassen von der schrumpfenden habitablen Zone. Entzug der Lebensbedingungen. Klimawandel. Kosmische Kälte.

Ein Todesurteil.

Bescheidene Wellen befeuchteten schüchtern eine künstliche Insel im heutzutage flachen See. Darauf ruhte der massive Fuß eines schlanken Turms, dessen Spitze den blassgrauen Himmel zu kitzeln schien.

Vielstimmiges Flüstern geisterte sporadisch über die sandigen Stufen aufwärts, Opfer des Kamin-Effekts und trocken wie der Staub, dem der gleiche Weg bestimmt war.

Die Spiralsäule der Heiligen bohrte ein Loch aus Glauben in die Wolken von Raptuul und wartete auf den Propheten des Untergangs.

 

Handlungsebene I: Ketz Daleer Alak, Ballblazer-Star. Sitzt fest auf einem leeren Raumflughafen.

Ketz wartete.

Während er das tat, sammelte sich im Kern eines kleinen Sterns namens Keltek immer mehr Helium. Die Masse genügte nicht, um das Helium zu Sauerstoff zu fusionieren und weitere Energie zu erzeugen. Der Kern des Sterns fuhr damit fort, zu erkalten, und der Strahlungsdruck ließ immer weiter nach. Die äußeren Hüllen, die weiterhin mehr schlecht als recht Wasserstoff zu Helium fusionierten, sanken ins Zentrum. Der ganze Stern schrumpfte um ein paar Zentimeter, während Ketz wartete. So wurde Keltek langsam aber sicher zum Weißen Zwerg. Zu langsam, als dass ein Beobachter die Entwicklung hätte erkennen können. Aber viel zu schnell für die Krokten genannten Echsenwesen, die gerade auf dem zweiten Planeten des Sterns ausstarben, weil ihr wechselwarmes Blut mehr Wärme brauchte, als der Stern aussandte, weil ihre Wohntümpel zufroren, weil die Insekten, von denen sie sich ernährten, nicht mehr flogen.

Die Krokten durchpflügten mit ihren Mäulern eisigen Matsch, suchten nach den Würmern, die sie dort vermuteten. Die Würmer waren allerdings vor der Kälte tiefer ins Erdreich geflohen, wo sie keine Nährstoffe vorfanden und verendeten.

Würde Ketz deutlich länger warten, würde der Stern Keltek so weit erkalten, dass eine ewige Nacht auf der Welt der Echsenwesen anbrechen würde. Eine Nacht freilich, in der es keine lebenden Krokten mehr geben würde, die den Sonnenaufgang vermissen oder gar herbeisehnen könnten. Ihre Sonne wäre nur noch ein grauer Zwerg, ein gerade noch glimmender Ball aus Helium, nicht nennenswert wärmer als das Nichts. Die Oberfläche des Planeten wäre eine farblose, kalte Wüste, geschliffen von verzweifelten Stürmen eines apokalyptischen Klimasturzes. Ohne jedes Leben.

Die Krokten hatten davon keine Ahnung, denn dazu reichte ihre rudimentäre Intelligenz nicht aus. Vielleicht war das besser so. Ihr verbleibendes Leben wäre sonst in etwa so düster gewesen wie jenes der intelligenten Bewohner im Einflussbereichs des Rates der Planeten.

Wie es der Zufall wollte, rissen die schweren Schneewolken des Keltek-Planeten gerade auf, so dass eine Gruppe Echsenwesen, die sich wärmend aneinander schmiegten, einen Blick auf ihren fahlen Stern erhaschen konnten, und im gleichen Moment verstummte die Musik im Raumflughafen von Ollrok. Ein schiefer Gong erklang, und eine automatische Stimme verkündete: »Wir freuen uns, die Ankunft des Fluges Alternair Nummer Unbekannt von Unbekannt verkünden zu können. Dieses Raumschiff fliegt um 20:85 weiter nach Unbekannt. Passagiere mit diesem Ziel begeben sich bitte zu Ausgang B. Bürger von Ollrok halten bitte ihre Ausreisegenehmigung bereit. Der Raumflughafen wünscht im Namen aller Bürger von Ollrok eine angenehme Reise.«

Handlungsebene II: Bwsoll, amphibische Malerin vom Planeten Emsel und selbsterklärter größter Fan von Ketz. Ihre Mission: Den Star aus seiner misslichen Lage befreien.

Gerüche und Gespräche vermischten sich in der Taverne zu einem würzigen Eintopf, der sicher nicht jedermanns Geschmack war. Viele Besucher saßen in Nischen, einige besorgten sich gerade frische Getränke an einem der Barautomaten. Ein Hammermensch von Getoro lastete auf zwei Stühlen und wiegte den Oberkörper im Takt zu einer unhörbaren Musik. Ein nicht weniger breiter Artgenosse trug einen Wählhut, der typisch war für einfache Leute auf Partnersuche. Eine passende Suchanzeige leuchtete in der Sprechblase, die über dem Hammer schwebte. Bwsoll hatte bisher immer gedacht, dass Hammer sich eingeschlechtlich fortpflanzten. Entweder stimmte diese Information nicht, oder einige von ihrem Heimatplaneten geflohene Hammer interessierten sich neuerdings für andere sexuelle Praktiken. Die Emselin nahm sich vor, dieser Frage bei Gelegenheit nachzugehen. Möglicherweise ergab sich daraus Inspiration für ein neues Kunstwerk.

Ihr Becher war nicht einmal zur Hälfte leer, als sich ein Wesen vor Bwsoll aufbaute, das so fremdartig war, dass es sich kein Künstler auf Emsel je hätte vorstellen können.

Es war von Kopf bis Fuß von einem dichten, braunen Fell bedeckt, dessen Haarbüschel sich unentwegt bewegten wie Schilf im sanften Wind.

Handlungsebene III: Zweikamele und Viertgeburt führen ihre nomadische Sippe in eine hoffentlich bessere Zukunft.

Zweikamele knabberte das letzte Stück Fleisch von ihrem gebratenen Quoru-Gecko und warf die Knochen ins Feuer. Es knisterte, warf Funken, die nach oben stiegen zu den Sternen.

Sie verblassten.

Die Vorfahren hatten mehr Sterne gesehen. Am Felstor von Andertag waren sie verzeichnet, aber Zweikamele war nie dort gewesen. Sie glaubte Viertgeburt jedes Wort, wenn er davon erzählte, denn er war ihr Partner, und beide hatten einander bedingungsloses Vertrauen gelobt. Drei Tage nach der Zeremonie im Tal der Stille war der Älteste gestorben, der sie vermählt hatte. Sein Grab war von Schnee bedeckt gewesen, bevor die letzten Trommeln verklungen waren. Zweikamele und Viertgeburt hatten feststellen müssen, dass sie nun die Ältesten des kleinen Stammes waren. Sie hatten den erneuten Aufbruch nach Süden befohlen. Süden bedeutete Wärme. Wärme bedeutete Überleben.

Wieder so ein Knistern. Zweikamele sah nachdenklich ins Feuer. Sie stützte den müden Kopf in die Hände, schloss die Augen. Die Sterne! Die Sterne verblassten. Und niemand konnte hingehen, um nachzuschauen, woran das lag. Nur der junge Wiegmund glaubte, man könne die Weißen Berge erklettern, um von dort das Himmelsdach zu erreichen. Vielleicht, so meinte er, waren die Sterne Löcher in einem Dach, hinter dem ein helles Licht brannte. Vielleicht klebte Schmutz in den Löchern, und man musste sie bloß gründlich reinigen.

Wiegmund sponn viel Unsinn zusammen. Die Leute lachten gerne über ihn. Sie hatten selten etwas zu lachen.

Es war nicht das Feuer, das knisterte. Es kam auch nicht von Viertgeburt, der sich neben Zweikamele in seine Decke gerollt hatte und lautlos schlief.

Es kam von hinten.

Zweikamele sprang auf. Fuhr herum.

Handlungsebene IV: KonstitutionNull. Die Cyber-Modderin besteht nur aus einem Torso mit Rädern drunter. Sie erinnert sich nicht, warum. Ihr Geheimnis ist gleichzeitig das Geheimnis dieses Romans.

Es gab im ganzen Universum nichts Cooleres als Modder-Conventions.

Extra gemietete Sicherheitsleute sorgten am Eingang dafür, dass nur die wirklich coolen Leute reinkamen und nicht die, die es gerne gewesen wären. Meist genügten dazu ein paar Schläge mit der ePeitsche. Es hatte bei solchen Gelegenheiten schon Tote gegeben. Nicht heute, in Form Paaval, der U-förmig angelegten Hafenstadt auf Kaspor. Die Konferenz fand statt auf verknoteten Gummibooten im äußeren Hafenbecken und war trockenen Fußes nur per Schiff oder Helikopter zu erreichen.

Auf den Booten lagen verschraubte Polymer-Planken, über denen sich dank Überdruck Zeltplanen kugelförmig wölbten wie überdimensionaler Giftschaum, der beim heimlichen Ablassen von Chemieabfällen auf hoher See gelegentlich als Zufallsprodukt entstand.

KonstitutionNull rollte zwischen den chaotisch aufgebauten Präsentationstischen herum und bemühte sich, nicht zertreten zu werden. Ihr Torso besaß immer noch keine Annäherungssensoren, um möglichst automatisch Ausweichmanöver fahren zu können. Eine solche Zusatzausstattung zu ergattern, war einer der Gründe für KonstitutionNulls Besuch auf dieser Convention. Der Haken an der Sache: Sie besaß kein Geld, weil man ihr das sofort gepfändet hätte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als auf die Freigiebigkeit ihrer Community zu hoffen und dafür zu sorgen, dass die Zusatzmodule so schäbig waren, dass das Gericht nicht auf die Idee kam, sie zu beschlagnahmen.

Handlungsebene V: Fro Olkich, Mönch des Untergangs. Religionsausübung ist im Rat der Planeten verboten. Ein paar Unverbesserliche gibt es noch…

Die Ausgangsglocke läutete dreimal. Fro Olkich, Mönch des Untergangs, richtete sich auf. Er streichelte das Amulett auf seiner Brust und warf einen prüfenden Blick aus dem Fenster. Gitterstäbe trennten seine Zelle von der warmen Luft des Frühlingstags. Neplokor, Stadt am Rand des Pfeilmeeres von Arveno, genoss das Leben.

Nicht mehr lange, wusste Fro Olkich. Der allmächtige Geist des Universums, möge sein Name für immer bleiben unbekannt, hatte genug von den atheistischen Bewohnern seiner Schöpfung und knipste das Licht aus.

Das Zellenschloss schnappte, die Tür glitt knirschend auf. Das Glockenspiel stimmte eine sanfte Hymne an. Gemessenen Schrittes trat der gebeugte Mönch auf den Gang, wo sich nach und nach alle Brüder versammelten. Als die Musik zwei tiefe Akkorde nacheinander spielte, setzten sie sich in Bewegung, marschierten ohne Eile an den offenen Türen entlang, die breite Freitreppe hinunter und hinaus in den Kreuzgarten des Klosters.

Hohe Mauern umgaben den Hof, in dessen Sandfläche nichts wuchs außer Unkraut. Die Mönche liefen versunken in Andacht und Meditation im Kreis, kreuz und quer, oder beteten an der Mauer. Manche zupften das Unkraut aus, beobachtet von summend hin und her schwenkenden Kameras.

Es beginnt eine epische Reise zu den Sternen, die zu Asche zerfallen…

 

Meine erste Space Opera erschien im Oktober 2014 als Hardcover, Paperback und eBook im Atlantis-Verlag und ist überall zu haben, wo es Bücher gibt.

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